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Spielräume des Überschusses im Dokumentarischen

Text von Anna Stemmler
Erstveröffentlichung in [IMAGE MATTERS]: image/con/text: Documentary Practices Between Journalism, Art and Activism,
edited by Karen Fromm, Sophia Greiff, Malte Radtki and Anna Stemmler, Reimer Verlag, Berlin, 2020

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"How can we rethink the documentary in art in terms of content, form and method? How can we be inspired by the paradox that as soon as you attempt to approach reality in a documentary way, it immediately evaporates and mutates? How can we take our responsibility for mechanisms that determine what can or may be observed, seen, heard, said, thought, made, or done? And how do documentary makers themselves deal with their own positions (of power) and blind spots?"[1]


Margins of Success

Als ich mein Exemplar von Margins of Excess bei seinem Autor Max Pinckers bestellte, bat ich aus praktischen Gründen darum, dass es nicht an meine private, sondern an die Geschäftsadresse meines Partners versendet werde.[2] Das Buch kam ordnungsgemäß dort an – und wurde beinahe mit dem Stapel unerwünschter Werbebroschüren wieder hinausgeworfen, die an ebendieser Adresse regelmäßig eingehen. Die glatte Hochglanzoptik der Titelfotografie in Kombination mit einem leichten Misslesen des Titels – "Margins of Excess" wandelte sich zu "Margins of Success" – ließ es auf den oberflächlichen Blick wahrscheinlich wirken, dass dieses hochinteressante Fotobuch eine überflüssige, jedoch sehr wohl vorstellbare Veröffentlichung aus der Welt der Wirtschaftsführer*innen sei.

In Pinckers' Arbeit wird inszenierte Fiktion mit Dokumenten auf eine Weise vermischt, die einen Kommentar zu der Bilderumwelt liefert, an die wir gewöhnt sind. Dabei werden fotografische Konventionen aufgerufen, die in kommerziellen und massenmedialen Bildpraktiken eingeübt sind, offensichtlich auf sehr überzeugende, vielleicht auch zu überzeugende Weise. Der Autor selbst empfand die erfolgreiche Mimikry seines Werkes, die totale Immersion in das allgemeine visuelle Rauschen nicht als besorgniserregend, sondern als Bestätigung des gewählten Buchdesigns.[3] Pinckers hegt kein Interesse daran, etwa eine eigene Handschrift in Form einer idiosynkratischen Ästhetik zu entwickeln, er möchte vielmehr daran anknüpfen, wie wir in unserer Kultur Themen visuell verhandeln.[4] In der Beschäftigung mit den Bildwelten der Medien[5] will er deren vertraute Sprache nutzend untersuchen. Selbsterklärtes Ziel ist es, die Konventionen und visuellen Strategien sowohl von Fotojournalismus als auch Dokumentarfotografie als Konstruktionen sowie die ihnen zugrunde liegenden ideologischen Absichten und Machtstrukturen in der eigenen künstlerischen Praxis erkennbar zu machen.[6]


Stories of contention

Inhaltlich widmet sich Pinckers in Margins of Excess Personen, die durch ihre ungewöhnlichen Geschichten und damit verknüpfte Vorwürfe des Lügens eine hohe Medienaufmerksamkeit erfahren haben. Herman Rosenblat, ein Holocaust-Überlebender, addiert zu seiner für sich schon erzählenswerten Lagererfahrung eine Liebesgeschichte, die so nicht stattgefunden hat. Rachel Doležal, eine Frau nachgewiesenermaßen 'weißer' Abstammung, lebt eine Schwarze Identität, wird damit sogar zu einer politischen Führungsfigur in der Bürgerrechtsbewegung, gerät aber mit der von ihr beanspruchten Kategorienaufweichung existenzzerstörend in die Kritik.[7] Jay J. Armes, der Detektiv ohne Hände, vollbringt unglaubliche Dinge, aber ist dennoch nicht ganz der Superheld, zu dem er sich stilisiert.[8] Richard Heene, Reality-TV-erprobter Erfinder, lässt sich nicht entlocken, ob die Falschmeldung, sein Sohn würde gefangen in einem ufoähnlichen Ballon durchs Land schweben, ein Irrtum oder ein geplanter Hoax war. Darius McCollum weiß zwar alles Nötige über das Lenken von New Yorker U-Bahnen, da er jedoch keinen Lokführerschein hat, werden seine selbst gestalteten Arbeitseinsätze regelmäßig mit Gefängnis bestraft. Ali Alqaisi wurde in Abu Ghraib gefoltert und hat mit der falschen Überzeugung, der ikonische Kapuzenmann zu sein, für die Rechte Gefangener gekämpft.

Gemeinsam ist diesen Geschichten, dass sie einerseits dem Sensationshunger besonders der US-amerikanischen Mediengesellschaft entgegenkommen, andererseits aber grundlegende Fragen an das Recht auf individuelle Wahrheiten, objektive Berichterstattung und den Konsens einer kollektiv geteilten, medial vermittelten Realität in den Raum stellen. Pinckers konstatiert, dass wir uns in einer Post-truth-Ära bewegen, in der eine Hyperindividualisierung eben auch von Wahrheitsansprüchen stattfindet.[9] Dabei wird deutlich, dass die klassische journalistische Herangehensweise an ihre Grenzen stößt, wenn es gilt, subjektiven Vorstellungen (der Realität) im allgemeinen Diskurs Raum zu gewähren (Meinungen hingegen können abweichend dargestellt werden). Der Imperativ der Objektivierbarkeit, der Nachprüfbarkeit von Geltungsansprüchen führt zu Binaritäten, die weder der Komplexität menschlichen Erlebens gerecht werden noch die Hinterfragung der eigenen Begrifflichkeiten zulassen.

Dem arbeitet Pinckers unter anderem damit entgegen, dass er in Margins of Excess Aufzeichnungen seiner Begegnungen mit den noch lebenden Protagonist*innen buchstäblich, mit Fadenheftung, in sein Buch einbindet.[10] Gedruckt auf gelbem Papier, was ein bisschen an legal pads denken lässt, geben diese Statements, die mehr Monologe als Interviews sind, unkommentiert und unhinterfragt die Eigensicht dieser umstrittenen Personen wieder. Dieses Berichten einer individuellen Perspektive ist dokumentarisch im Sinne des Wiedergebens einer Zeugenaussage, auch journalistisch im Sinne eines Sichtbar- bzw. Lesbarmachens dessen, was der Öffentlichkeit sonst unentdeckt bliebe, geschieht bei Pinckers jedoch mit mehr Zeit und Gelassenheit beim Zuhören als im Medienalltag meist möglich und unterlässt die sonst üblichen Einordnungen, die bei Angriffen auf das gesellschaftliche Realitätsverständnis schnell zu Wertungen werden, wie sie in den journalistischen Texten zu den Protagonist*innen durchschimmern.[11]

Dem stehen Zitate aus der Presse zu diesen Fällen gegenüber, die, auf grauem Papier gedruckt und, im Gegensatz zu den gelben Blättern, nur ins Buch eingeklebt, ohne Teil der Seitenzählung zu sein,[12] die Außensicht repräsentieren. Das Zitieren bezieht sich hier nur auf den Text, der jeweilige publizistische Kontext von Layout, benachbarten Artikeln, Bebilderung oder Begleitung durch Werbeannoncen wird zugunsten einer Konzentration auf Sprache und Inhalt weggelassen. Bemerkenswert ist der Grad an Differenzierung und nuanciertem storytelling, den die langen, im Ganzen reproduzierten Artikel durchaus an den Tag legen.

Zumindest Teile der Medien waren bemüht, neben der verwirrenden Faktenlage auch die Ambivalenzen in den Handlungsmotivationen der Beteiligten zu verstehen. Pinckers verzichtet bei der Auswahl der Langtexte darauf, sprachlich extremer gestaltete Varianten vorzuführen.[13] Auch ohne Polemik wird jedoch in der Gegenüberstellung der beiden Textsorten erkennbar, dass die mediale Bearbeitung gerade solcher zentral um Wahrheitsfragen kreisenden Geschichten an ihre Grenzen gerät. Der journalistische Impetus des Aufklärens, das Streben nach Transparenz trifft auf Undurchsichtigkeiten, die teils von den Protagonist*innen selbst nicht restlos verstanden werden und deswegen auch keine endgültige Ausleuchtung erfahren können. Beim Versuch, tiefer zu bohren und Widersprüche aufzulösen, tun sich gleich einem mise en abyme neue abgründige Versionen desselben Realitätskonflikts auf.[14]


Zwischen Spekulation, Sensation und Dokument

Weitere textuelle Einspielungen aus der Medienwelt deuten inhaltlich an, wie sehr die stories Teil einer Sensations- und Entertainmentmaschinerie sind. Artikelüberschriften und dazugehörende Vorspanntexte[15] auf grauem Papier bilden zugleich die jeweiligen Titelblätter der sechs Hauptgeschichten in Margins of Excess.[16] Aussagen von den oder über die Protagonist*innen wurden, in Anlehnung an gängiges Magazinlayout, als Schrift auf doppelseitig randlos gedruckte Farbfotografien gelegt; hier treffen Bild und Text im Buch am direktesten aufeinander. Alle Textzitate sind mit Quellenangaben versehen.[17]

Die wenigen Bilder in Margins of Excess, die nicht vom Autor selbst aufgenommen wurden, werden auf dem Bild mit einer Herkunftsangabe versehen oder im Kolophon am Ende des Buches explizit mit Copyright-Angaben benannt.[18] Bei Letzteren handelt es sich um Archivmaterial, die meisten der sechs Aufnahmen, teils offizielle, teils Familienfotos, wurden bei der medialen Berichterstattung über die Protagonist*innen eingesetzt, illustrativ oder als Indizien. In Pinckers’ Buch werden sie allerdings freigestellt von diesem Kontext gezeigt, jeweils allein auf einer rechten Seite rechts außen unten stellen sie den Abschluss der dazugehörenden Geschichte dar.

Die strukturierende Rolle dieser Bilder lässt sich zwar mit etwas Aufwand herauslesen, insgesamt wird die vorhandene Gliederung in sechs zentrale Geschichten jedoch eher verwischt. Zum einen gibt es kleinere Zwischengeschichten, manchmal auch mehrere zwischen zwei der großen, befasst mit Nachrichtenevents von krisenhaftem, bedrohlichem Charakter wie Amokläufen oder fragwürdigen wie einer weinenden Marienstatue[19] bis hin zu gefälschten Situationen, etwa einem Alien-Fund. Die Zwischengeschichten besitzen keine eigenen Titelblätter, ihnen ist in einigen Fällen eine Seite im 'Magazinstil' gewidmet, auf der ein Textzitat die Eckdaten umreißt, manchmal auch eine kurze Erklärung auf weißer Seite, eine genaue Abgrenzung zwischen den Geschichten unterbleibt.

Zum anderen lassen sich auf Grundlage der Fotografien, die den Hauptbestandteil von Margins of Excess ausmachen, zahlreiche Querverbindungen und Assoziationen zwischen den unterschiedlichen Geschichten herstellen. Das geschieht über thematische Bezüge wie zwischen Ufos und Aliens oder Waffen, Bomben und Terroranschlägen, aber auch über einzelne Bildelemente wie die Perlenketten respektive Rosenkränze.[20] Eine weitere Assoziationsbrücke wird durch Bildästhetiken bzw. Bildtypen gebaut. So hat Pinckers in Kollaboration mit Schauspieler*innen 'Betroffenenbilder' erzeugt, wie wir sie zu sehen gewohnt sind von Trauernden nach Katastrophen und bei Terroranschlägen, prominent auch vom 11. September 2001.[21] Diese Fotografien sind im gesamten Buch immer wieder eingestreut. Sie lassen sich als eigene Serie wahrnehmen, können aber auch im direkten Bezug zu den jeweiligen benachbarten Bildern und als Teil der lokal erzählten Geschichten gesehen werden, auf die sie dann frei nach Kuleschow einen emotionalisierenden Effekt haben.[22]

Zwischen diesen beiden Polen, den in jeder Hinsicht künstlerisch erzeugten Bildern der gespielten Affekte in perfekter Ausleuchtung und den vorgefundenen historischen Zeugnissen, und damit auch zwischen den Extremen von 'reiner' Fiktion und 'zuverlässigem' Dokument, fächert sich das Bilderspektrum in Margins of Excess auf. Vielen der Aufnahmen ist nicht schnell abzulesen, wie hoch ihr inszenatorischer Gehalt ist. Pinckers scheut nicht davor zurück, inszenierte und beobachtende Fotografien, Reportageelemente und Symbolbilder, abfotografierte Medienbilder und Nachstellungen vermischt zu präsentieren. Abgesehen von den genannten spärlichen Copyright-Hinweisen und wenigen Minimaltexten des Autors bleiben die Fotografien unbeschriftet und unerklärt. Die Überschreibungen auf den Seiten im 'Magazinstil' gehen nicht auf die Bilder ein. Mit Christopher Pinney, den er ganz am Ende des Buches zitiert, würde Pinckers annehmen, dass jede Fotografie einen Überschuss des unkontrolliert Aufgenommenen mit sich trägt, Peter Geimer nennt es Kontingenz, und dadurch automatisch subversive Nebenwirkungen entfaltet.[23] Geht man weiterhin davon aus, dass Bilder ohnehin immer aus vorhergegangenen Bildern geschaffen werden, also auch aus der Situation heraus fotografierte Nachrichtenbilder nicht frei von Formeinflüssen sind und dass auch jedes Dokument eine Gestaltung erfahren hat, nicht nur ein erklärtermaßen inszeniertes Bild, dann ergibt sich die Erweiterung des Begriffs des Dokumentarischen ins spekulative Dokumentarische, wie es Pinckers postuliert.[24]


Not everything goes

Dabei geht es nicht darum, ein beliebiges anything goes anzuzetteln. Vielmehr reiben sich die fotografischen Arbeiten Pinckers’ explizit an realen Situationen. Den dokumentarischen Kern von Margins of Excess bilden für ihn die Menschen, deren Geschichten er aufgreift und denen er durch seine Interviews eine Gelegenheit bietet, mit ihrer Sicht der Dinge wahrgenommen zu werden. Die Personen sind echt, auch wenn es strittig ist, was an ihren stories stimmt. Er fotografiert von jeder von ihnen ein Porträt, in der Struktur der Hauptgeschichten folgen sie auf die grauen 'Titelseiten'. Die Porträts kommunizieren auf unterschiedliche Weise mit dem jeweiligen Abschlussbild der Geschichte.

Bei Herman Rosenblat ergibt sich der erste Bruch mit diesem dokumentarischen Konzept. Da er zu Projektbeginn bereits verstorben war, konnte Pinckers statt seiner nur einen ihm sehr ähnlich sehenden Mann fotografieren, den er dafür auf der Straße angesprochen hatte. Das Ersatzporträt wird folgerichtig in Rückenansicht ausgeführt. In Anknüpfung an die von Rosenblat erfundene Liebesgeschichte hält der Mann im Porträt einen Apfel in der Hand. Der Holocaust-Überlebende hatte behauptet, seiner Ehefrau Roma, ebenfalls jüdischer Abstammung und von den Nazis verfolgt, schon während seiner KZ-Haft begegnet zu sein, als sie beide noch Kinder waren. Sie habe ihm über den Zaun des Konzentrationslagers einen Apfel zugeworfen, in einer weiteren Version auch mehrmals Äpfel und Brot, und so zu seiner Rettung beigetragen. Erst viele Jahre nach dem Krieg seien sie sich wiederbegegnet und hätten dann auch geheiratet. Die Eheschließung wird von dem Schwarz-Weiß-Bild aus dem Familienarchiv der Rosenblats visuell bezeugt.[25]

Zu diesen beiden Aufnahmen gibt es konkrete Vor- und Parallelbilder, derer sich Pinckers sehr bewusst ist und aus denen heraus er seine Darstellung der Geschichte entwickelt. Artikel über die Aufdeckung der Unwahrheit von Rosenblats Liebesgeschichte wählten als Illustration unter anderem ein Hochzeitsfoto des Paares, auf dem die Braut dem Bräutigam gerade einen Bissen Essen in den Mund schiebt.[26] Herman im Profil wirkt mit weit geöffnetem Mund sowohl ein wenig gierig als auch etwas unbeholfen. Der Aufnahmemoment mag sehr wohl inszeniert gewesen sein und damit eine gewisse Angestrengtheit bei Herman erzeugt haben. Im Observer ergibt sich mit dem direkt über dem Bild positionierten Artikeltitel und Vorspanntext ein negativ wertender Bild-Text-Konnex.[27] Aufbauend auf dem Kern der Lügenliebesgeschichte, dass das Mädchen den Jungen existenziell ernährt habe, und mit der visuellen Erzählung, in der die Frau den Mann füttert, wird eine Bedürftigkeit unterstellt, die zugleich als unangemessen eingeordnet wird: Wozu zwei außergewöhnliche Lebensgeschichten erzählen, wenn eine, die des Überlebens eines Nazilagers, eigentlich völlig ausreichen sollte?[28] Pinckers hat für den Abdruck in seinem Buch ein Foto des Liebespaars küssend vor seiner Hochzeitstorte ausgewählt, das derselben Serie entstammt wie die in der Presse verwendete Aufnahme. Durch die leichte motivische Verschiebung und das Weglassen der textlichen Umgebung wird die in der Presse vorgenommene negative Wertung in Margins of Excess nicht reproduziert. An ihre Stelle tritt die positive Repräsentation als liebendes Paar.

Für den Bildaufbau des Porträts bezieht sich Pinckers auf ein Video, in dem Rosenblat in Auschwitz an einem Stück Lagerzaun seine Geschichte des ihm zugeworfenen Apfels erzählt und partiell nachspielt – in der Rolle des Mädchens.[29] Im Porträt versteckt sich der Stand-in hinter einem Baum, wie es Rosenblat im Video zeigt. Rosenblat ist mit dem Produzenten Harris Salomon unterwegs, der über die Holocaust-Liebesgeschichte einen Film drehen möchte. Da Rosenblat nicht in Auschwitz, sondern in Schlieben, einem Außenlager des KZ Buchenwald, gefangen gehalten wurde, ist die Wahl des Drehorts eher dem Bekanntheitsgrad und symbolischen Kapital jenes Vernichtungslagers geschuldet als dem Bemühen um dokumentarische Authentizität. Das kurze Video ist eine Notiz, keine eigenständige Produktion, touristisch statt professionell, die Kameraführung unkonzentriert und die aufgezeichnete Performance eher zu erahnen als 'gut' zu sehen. Beim Medienwechsel, den Pinckers vollzieht, indem er die Darbietung aus den ineinanderfließenden Bewegungsbildern auf eine einzige stille, nachinszenierte Fotografie kondensiert, stellt sich eine Klarheit der Pose ein, die das Vor-Bild nicht demonstriert. Der Porträtaufnahme fehlt allerdings das authentifizierende Element eines KZ-Stacheldrahtzauns. Die Wahl des Aufnahmeorts für das Porträt deutet vielmehr auf das Land hin, in welchem die Mädchen-am-Zaun-Story erfunden wurde, die USA.

Das Motiv des Lagerzauns greift Pinckers in einem anderen Bild auf: der vor blauem Himmel über einen mit Stacheldraht bewehrten Maschendrahtzaun fliegenden Orange.[30] So augenfällig wie die Anspielung auf Rosenblats Erzählung ist auch die Abweichung davon. Die Fotografie lässt den fiktiven Charakter der Geschichte durch die in der visuellen Nacherzählung hinzugefügte zweite Fiktion der Orange anstelle eines Apfels eklatant mitschwingen und spricht so von dem Spagat zwischen Verlebendigung der Narration und dokumentarischer Verazität. Im schon erwähnten Artikel des Observer wird zur Illustration der Lagergeschichte Rosenblats eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Zaunes von Buchenwald eingefügt, die aus dem Jahr 1988 stammt. Das eigentliche Lager der Gefangenschaft in Schlieben war jahrelang dem Verfall anheimgegeben, insofern medial nicht sehr präsent und wurde nach 1990 erst 2011 als Gedenkstätte wieder eröffnet.[31] Bei einer erfundenen Geschichte danach zu fragen, welche der visuellen Annäherungen den höchsten dokumentarischen Wert besitzt, birgt ein gewisses Absurditätspotenzial. Es könnte nach visuellem Beweismaterial gesucht werden, um die Plausibilität der Geschichte zu prüfen oder diese zu widerlegen. Im Kern kann jedoch nicht bezeugt werden, was nicht war. Indem Pinckers von Herman Rosenblat ausgeht, mit dem eine wahre und eine falsche KZ-Geschichte verbunden sind, eröffnet er einen komplizierteren Möglichkeitsraum für die Vermischung von Fakten und Vorstellungen, aber auch für die Frage nach den Hintergründen des Lügens. Sein 'Orangenzaunbild' ist in seiner offensichtlichen Inadäquatheit unter Umständen produktiver als die medial angebotenen Alternativen, um das Nachdenken über fotografische Zeugnisfunktionen und über den Wunsch, eine schönere Geschichte schöner zu erzählen, zu befördern.

Bei Herman Rosenblat können mehrere biografische Komponenten – darunter ein sekundäres Trauma durch einen Raubüberfall, aber auch Geldnot – dazu beigetragen haben, seine Lügengeschichte zu entwickeln und auch dann noch beharrlich öffentlich als subjektive Überzeugung zu vertreten,[32] als ihm schließlich Historiker*innen nachgewiesen hatten, dass einzelne Elemente funktional unmöglich waren. Seine Selbstkenntnis und psychischen Strukturen zu beurteilen, ist nicht Aufgabe dieses Essays. Es gibt allerdings bezüglich der Zeugenaussagen von Holocaust-Überlebenden allgemeinere Beobachtungen, die sich mit seinem Fall zusammendenken lassen und zugleich das Vorgehen Pinckers’ reflektieren helfen. Die Bezeugung der Geschehnisse der Shoah ist per se schwierig, weil es sich um ein in vielerlei Hinsicht Kategorien und Vorstellungskraft sprengendes Verbrechen handelt, das zudem seine Zeug*innen entweder als Täter schweigen lässt oder als Opfer wenn nicht getötet, so oft gebrochen hat.[33] Überlebende sind gezwungen, zum Zeugnisgeben das erlebte Unfassbare in eine erzählbare Form zu bringen. Bei dieser Übersetzungsleistung soll das dem Publikum mangels eigener Erfahrung Ferne zugleich präsent und verständlich, also im zweifachen Sinne vorstellbar werden. Das bedeutet auch, etwas als schlüssig darzustellen, dem eigentlich Desorientierung, Unsicherheit und Unabgeschlossenheit entsprechen.[34] Tobias Ebbrecht stellt fest, dass gerade die Zeugenaussagen von Überlebenden, seien sie live gehört oder audiovisuell präsentiert, mit ihrer begleitenden, körperlich vermittelten Emotionalität eine erträglichere Version der Shoah-Narration liefern, als es die schockierenden Archivbilder aus den befreiten Lagern tun.[35] Im Umkehrschluss wäre denkbar, dass überlebende Opfer-Zeug*innen einen unausgesprochenen Auftrag zur Herstellung einer geschlossenen harmonischen Narration, aber auch selbst ein Bedürfnis nach Entlastung durch Sinnrückgewinnung verspüren. Rosenblats Aussage, er habe seine Liebesgeschichte erzählt, um den Menschen Hoffnung zu geben und sie den Wert von Liebe und Toleranz zu lehren, um durch Vergebung über die Wut der Konzentrationslager hinwegzukommen, könnte in eine solche Richtung weisen.[36]


Komplementäre Zeugnisse

Mit einer Szene aus dem Dokumentarfilm The Last Days beschreibt Ebbrecht einen Fall von audiovisueller Zeugnisgestaltung, der es gelingt, solche Hoffnungen des Publikums sanft zu unterlaufen. Der Überlebende Dario Gabbai wird beim Sprechen und in Kombination mit Archivmaterial, aber auch dem leeren Krematorium gezeigt.

"This deserted space [...] has to be related to the experiences of the witness through the audience's imagination. Thus room to imagine what is unimaginable is opened by transgressing the concept of pure illustration in favour of a communicational exchange between voice and image that are both limited."[37]

Die leere Bühne des Visuellen – man vergleiche mit Eva Leitolfs Deutschen Bildern[38] – verweigert die Illustration des Textes (im Filmbeispiel des gesprochenen Textes, in den Fotobüchern gedruckt) und ist dennoch indexikalisch mit dem bezeugten Verbrechen verbunden. Zugleich ist die Zeugnisfunktion solcher Bilder darauf angewiesen, vom sprachlichen Zeugnis ergänzt zu werden. Das kommunikative Zusammenspiel zwischen den beiden Zeugnisformen, die beide limitiert sind (oder in der jeweiligen Gestaltung des Dokumentarischen limitiert bzw. zurückgehalten werden), eröffnet über das Gewahrwerden der Lücken innerhalb der Zeugniselemente und der resultierenden Verunsicherung eine Betrachterinvolvierung.

Betrachterverunsicherung zum Zweck der Betrachterinvolvierung wird als Strategie auch in Margins of Excess eingesetzt. Zwar wird den disputierten Mediengeschichten zunächst Material hinzugefügt, auf der Textebene vor allem durch die Aufzeichnung der Selbstbeschreibungen von Protagonist*innen, die so zugleich als Zeug*innen sprechen. Es wird aber ebenfalls eine starke Reduzierung der Medienstimmen sowohl im Umfang als auch im Hinblick auf ihre begleitenden Kontexte vorgenommen. Konsumiert man die Originalgeschichten in ihrer vollumfänglichen medialen Verhandlung, so zeigt sich, dass nicht nur die Verknappung bei Pinckers offene Fragen aufwirft, die auch das bei ihm exklusiv zusätzliche Textmaterial nicht abschließend beantworten kann. Fehlende Bildunterschriften erhöhen das Gefühl der Desorientierung. In Margins of Excess werden zwar viele Bilder aus den Medien aufgegriffen, sie werden jedoch erweitert durch symbolische Kreationen des Fotografen oder gar durch Kopien ersetzt.

Hierbei komplementiert Pinckers dokumentarische Bilder mit fiktionalen Gestaltungen auf eine Weise, die nicht nur den Zweifel am Dokumentarischen sät (oder bestätigt), sondern auch das Fiktive nicht aus der Verbindung mit dem Realen entlässt. Einer Zwischengeschichte über einen rätselhaften gefälschten Terrorangriff mit einer fake bomb am Times Square in New York werden in Margins of Excess sogar zwei 'Magazinstil'-Seiten direkt hintereinander gewidmet, wobei der ersten Doppelseite ein zu dieser Nachricht gehöriges Video-Still mit knapper Quellenangabe zugrunde liegt, während das zweite Foto einen Ausschnitt aus einem Diorama zeigt, eine erschossene Person am Steuer eines Fahrzeugs.[39]

Im Fall der Fake-bomb-Geschichte wurde niemand erschossen, wie auch das Nachrichtenzitat auf dieser Seite schließen lässt. In Zeiten allgemeiner Paranoia wäre es jedoch nicht überraschend, wenn Polizist*innen Verdächtige in solch einer active situation aus einem Bedrohungsgefühl heraus töten würden. Dass dies verstärkt für Schwarze US-Bürger eine Gefahr darstellt, rückt seit den 2010er-Jahren die Bewegung Black Lives Matter ins Bewusstsein. Auf Fälle rassistischer Polizeigewalt, die auch jenseits terroristischer Verdachtssituationen für viele Schwarze ein Alltagsproblem bedeutet, weist Pinckers’ Aufnahme aus einem amerikanischen Museum indirekt hin.

Auf die 'Magazinseiten' folgt eine leere weiße Seite und dann rechtsseitig eine Fotografie der 'ausgepackten' fake bomb. Das geworfene Bündel bestand aus einer ungefährlichen Kombination von Kerze, Alufolie und einem batteriebetriebenen Leuchtmittel, die in ein weißes Stück Stoff eingewickelt waren.[40] Alle diese Elemente sind in der Fotografie enthalten, die jedoch von Max Pinckers stammt und keine Nachrichtenfotografie ist, sondern sorgfältig einem Original nachgebildet. Das Vor-Bild wurde von der New Yorker Polizei veröffentlicht, es wird von mehreren Zeitschriften aus Twitter[41] zitiert und findet sich in einem von abc News herausgegebenen Nachrichtenvideo. Im abc-Video werden geschickt eigene Videoaufnahmen des vor einem Polizeiauto auf dem Asphalt liegenden Bündels, aus einiger Distanz von der Halbnahen zur Halbtotalen herausgezoomt, wahrscheinlich von einer Position hinter einer Absperrung aus aufgenommen, mit dem Foto der Polizei kombiniert, das nun wie ein Heranschnitt wirkt und auf das zusätzlich gezoomt wird. Oben links wird das Fremdmaterial jedoch klein und in dünner Typografie als "NYPD Photo" gekennzeichnet.[42]

Im direkten Bildvergleich der fake bomb mit der fake fake bomb fällt schon anhand des markanten weißen Buchstabens auf dem Asphalt des Originalbilds auf, dass die beiden Fotografien weder identisch sind noch am gleichen Ort aufgenommen wurden. Der fotografische Nachbau ist forensisch so wenig verwertbar, wie die echte fake bomb explosiv war. Dennoch ist der Grad an wahrgenommener Ähnlichkeit zwischen beiden Bildern verblüffend. In dem Nachbau stecken so ziemlich alle Informationen, die relevant scheinen für eine News-Öffentlichkeit – und die sich verbal zusammengefasst für beide Fotografien kaum unterscheiden ließen.[43] Eine für sich allein gesehen könnte aus dem Gedächtnis jederzeit mit der anderen verwechselt werden.


Available to other readings – context does matter

"If it is photography, it could be documentary, but it does not have to be."[44] Um das einzelne Dokument zu erschließen, braucht es Kontext.[45] Ebenso gilt: Ohne Kontext ist kein Dokument ein Dokument. Um ein Bild zu verstehen, müssen wir die Bilder vorher und ringsherum kennen und verstehen, die materiell vorhandenen wie die möglichen Bilder, die Typen und Stereotype, die mit in das konkrete einzelne Bild hineinspielen. In Margins of Excess gibt Pinckers Bildern Kontexte durch Text – und durch andere Bilder. Ihm ist die abgeschlossene Form eines gedruckten Buches wichtig, die eine limitierte Auswahl an Bildern versammelt und zunächst deren Reihenfolge festlegt. In diesem Format kann eine ruhige, konzentrierte Begegnung zwischen Einzelbild und Betrachter*in ebenso erfolgen wie ein wildes Durchblättern mit entsprechenden Verwischungen und neuen Verknüpfungen. Kontext wird für Pinckers aber auch explizit durch das 'Drumherum' des Buches hergestellt, durch Vorträge des Autors und Interviews, die als komplementär zu verstehen sind, oder durch das Abdrucken von Auszügen des Buches in neuen Arrangements und Zusammenhängen, wie hier im vorliegenden Band, dann auch mit veränderter Reihenfolge und neuem Seitenlayout. Der Ursprungskontext für die erzählten Geschichten wie für die Vor-Bilder scheint in allen diesen Instanzen immer wieder auf, mal deutlicher, mal indirekter. Während Margins of Excess tief in die Welt der Nachrichten und paranoiden Sensationen involviert ist, ist es selbst kein journalistisches Werk im Sinne der News-Berichterstattung. Seine Herangehensweise wäre auch nicht allen Ereignissen angemessen, denen in den Nachrichten Aufmerksamkeit zuteilwird. Pinckers geht allerdings davon aus, dass ein an Objektivität orientierter Fotojournalismus die Betrachter*innen unter Umständen weniger dazu bringt, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, als es ein offensichtlich manipuliertes Bild tut, dem nicht so leicht, dafür umso komplexer eine Bedeutung abzuringen ist.[46]

Die Verwendung der zahlreichen Bilder im Buch nutzt die Spielräume des Bedeutungsüberschusses, die im Fotografischen angelegt sind.[47] Die Aufnahmen von Pinckers sind ebenso wie das journalistische Bildmaterial "availabe to other readings"[48], offen für unterschiedliche Lesarten auch jenseits der Intention der Fotografierenden, und manche Bedeutung wird erst im Prozess der Übersetzung entdeckt, wie ihn Pinckers vollzieht, wenn er die Vor-Bilder verändert und rekontextualisiert.

Die Fotografien von Max Pinckers und ihre Kombinationen in Margins of Excess lösen Spekulationen aus. Nach dem Philosophen Charles Sanders Peirce sind Spekulationen nicht etwa mangelnde Wahrheiten, sondern der erste Schritt im Erkenntnisprozess. Sie dienen beim Antreffen unerwarteter Situationen der Bildung von Hypothesen, welche im weiteren Verlauf dann wissenschaftlich (journalistisch oder bei Bedarf juristisch) überprüft werden können und sollten.[49]

Das Problem eines noch nie da gewesenen Kriminal- oder Gerichtsfalls, oder allgemeiner das Vorfinden einer noch unerklärten Tatsache, die Konfrontation mit dem Unbekannten erfordern jedoch zunächst ein Denken außerhalb der schon bestehenden Konzepte und Regeln, damit sich neue Ideen entwickeln können.[50] Den Arbeiten von Pinckers geht es nicht darum, einem Bild oder einer Geschichte eindeutige Wahrheitswerte zuzuschreiben, etwa "Das ist eine Bombe" oder "Diese Person ist ein Heiliger", das wäre zu eng gedacht und beschränkt aufs Illustrieren. Vielmehr wird über das Öffnen des Begrifflichen zum freieren Denken angeregt, sodass seine Bilder als "ästhetische Ideen" im Sinne Kants wahrgenommen werden können.[51]

Wozu wird diese Freiheit im Dokumentarischen gebraucht? Einerseits, um der Komplexität der Welt gerecht zu werden, andererseits aber auch, um zu neuem Handeln zu finden. Es ist ein Anliegen fotojournalistischen Arbeitens, nicht nur zu beschreiben, was ist, sondern zugleich Veränderungen anzuregen. Solche Veränderungen ergeben sich jedoch selten zwangsläufig aus dem Dokumentierten, sie benötigen einen politischen Willen. In ihrem Ansatz, das politische Urteilen als dem ästhetischen Urteilen vergleichbare Sphäre jenseits strikter Wahrheitskriterien zu fassen, betont Hannah Arendt die Notwendigkeit pluralistischen Vorstellens.[52] Abgesehen vom tatsächlichen Dialog der an Entscheidungen Beteiligten braucht es schon beim Beurteilen der Lage das Sichhineinversetzen in verschiedene Standpunkte. Hierfür ist es hilfreich, mehr als eine Position anzubieten, wie Pinckers es tut. Jedes Geschichtenerzählen bedeutet ein notwendiges Verkürzen, ein Abschließen, da Wirklichkeit nicht komplett auserzählt werden kann. Das Abschließen zum Zweck der Repräsentation führt dazu, dass beim dokumentarischen Erzählen immer auch Fiktion im Spiel ist – und mögliche alternative Beschreibungen abgeschieden werden. Pinckers greift diese realitätsbeschränkenden Fiktionen und die liegengelassenen abweichenden Interpretationen auf und vermeidet mit seinem Erzählen die "Gefahr der einzigen Geschichte".[53] Zugleich gesteht er den Menschen ihr Recht auf Opazität zu. Forderungen nach Transparenz richten sich zwar theoretisch an alle Bürger*innen, besonders diejenigen in Machtpositionen. Praktiziert wird sie de facto oft nur einseitig für die Machtloseren – und dann als Reduktionismus. Es ist jedoch nicht nötig, eine Person und ihre Geschichten restlos auszuleuchten, um mit ihr in Beziehung zu treten.[54] Diese Grundintuition scheint Pinckers zu leiten, wenn er sein visuelles Netzwerk an Beziehungen strickt. Indem er Abstand nimmt vom Versuch, mit Fotografien essenzialistische Wahrheiten zuzuschreiben, gelingt es ihm beim Übersetzen, Denkräume im Dokumentarischen zu schaffen.




Endnoten:

[1] The School of Speculative Documentary, https://www.kaaitheater.be/en/agenda/the-school-of-speculative-documentary (zugegriffen 22. Oktober 2019). Max Pinckers kollaboriert an der KASK School of Arts mit einem weiteren Fotografen, einem Theatermacher und einer Filmemacherin in dieser Recherchegruppe, die das dokumentarische Handeln hinterfragt. Als Dokumentarschaffende diskutieren sie die Relevanz von Unsicherheit und Vermutungen für ihre Arbeit und versuchen, mit den "unvermeidbaren Schwächen ihres Produktes" ebenso zurechtzukommen wie mit der "unordentlichen Wirklichkeit" (ebd.).

[2] Max Pinckers, Margins of Excess, Belgien 2018. Im Folgenden abgekürzt als MoE. Online verfügbar unter http://www.maxpinckers.be/books/margins-of-excess/ (zugegriffen 25. Februar 2020).

[3] Max Pinckers im Vortrag "Margins of Excess: Text and Image in the Contemporary Documentary Photobook" beim Symposium image/con/text am 30. Oktober 2019 in Hannover, online verfügbar unter http://image-matters-discourse.de/symposium-image-con-text/videos/?lang=en (zugegriffen 25. Februar 2020); hier sind auch die anderen Vorträge dieses Symposiums versammelt.

[4] Max Pinckers im Gespräch mit der Autorin am 23. Januar 2020. – Nichtsdestotrotz werden bestimmte Stilmittel, die Pinckers über Jahre bei verschiedenen Projekten eingesetzt hat, wie etwa das Blitzen, durchaus identifizierend mit ihm in Verbindung gebracht. Es wäre zu diskutieren, wann ein Konzept zur als unwillkürlich verstandenen Handschrift gerinnt.

[5] In Margins of Excess geht es um journalistische Bildwelten. In den letzten Jahren ist jedoch eine zunehmende Verwischung der visuellen Grenzen zwischen editorialen Bildinhalten, werblichen Aufnahmen und Layouts zu verzeichnen, die sich auch in den Ästhetiken des Buches von Max Pinckers niederschlägt.

[6] Vgl. Max Pinckers, "Academic Research", http://www.maxpinckers.be/texts/research/ (zugegriffen 25. Februar 2020).

[7] Aufgrund der medialen Ausstellung als Lügnerin verlor Rachel Doležal mehrere bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten. Vgl. unter anderem Allison Samuels, "Rachel Dolezal’s True Lies", in: Vanity Fair, 19. Juli 2015, https://www.vanityfair.com/news/2015/07/rachel-dolezal-new-interview-pictures-exclusive (zugegriffen 25. Februar 2020), und Margins of Excess (MoE) S. 216.

[8] Vgl. Gary Cartwright, "Is Jay J. Armes For Real? He says he’s the world’s greatest private detective, but ...", in: Texas Monthly, Januar 1976, https://www.texasmonthly.com/articles/is-jay-j-armes-for-real/ (zugegriffen 25. Februar 2020).

[9] Vgl. Max Pinckers zum Projekt Margins of Excess, http://www.maxpinckers.be/projects/margins-of-excess/ (zugegriffen 12. Februar 2020). Personen wie die Protagonist*innen des Buches wird es schon früher gegeben haben, dann jedoch ohne den Kontext einer allgemeinen Infragestellung der Autorität des Journalismus und ohne die Option, identity politics als rechtfertigend für die eigene Abweichung vom gesellschaftlichen Realitätskonsens zu nutzen.

[10] Herman Rosenblat verstarb 2015, vor dem Projektbeginn 2016. Siehe Associated Press in Miami, "Herman Rosenblat, memoirist behind false Holocaust romance, dies at 85", in: The Guardian, 19. Februar 2015, https://www.theguardian.com/us-news/2015/feb/19/holocaust-memoirist-herman-rosenblat (zugegriffen 25. Februar 2020).

[11] Als Diskurswächter*innen obliegt es Journalist*innen, darauf hinzuweisen, wenn der Kaiser ohne Kleidung dasteht. Die Einordnung der abweichenden Realitätsauffassung gerät zwangsläufig zu einer Ausgrenzung. Vgl. z. B. Samuels, Rachel Dolezal’s True Lies, 2015, und MoE zwischen S. 200 und 201.

[12] Hierauf verweist Pinckers selbst in Interviews, vgl. z. B. in: Cat Lachowskyj, Interview, "Margins of Excess. This photographer documented the lives of six individuals who embody the inseparability of fact and fiction", in: LensCulture, ohne Datum, https://www.lensculture.com/articles/max-pinckers-margins-of-excess (zugegriffen 22. Februar 2020). Für eine genaue Beschreibung und Interpretation diverser Elemente seines Fotobuchs siehe auch Paola Rigamonti, Documenting Reality in the Digital Age, London 2018/2019, http://www.paolarigamonti.com/essays/documenting-reality-in-the-digital-age/ (zugegriffen 26. Februar 2020).

[13] So heißt es in einem Kommentar zur Rosenblat-Story etwa: "[…] there’s always someone out there willing to peddle their shit-stained wares to the lowest common denominator" (in: "Update: On Saturday, December 27, Berkley Books announced that it is canceling publication of Angel at the Fence", in: Gawker, https://gawker.com/5258422/holocaust-love-liar-gets-his-fake-story-told [zugegriffen 22. Februar 2020]).

[14] Vgl. zum Problem des Transparenzstrebens Édouard Glissant, Denker des Postkolonialen: "Whether this consists of spreading overarching general ideas or hanging on to the concrete, the law of facts, the precision of details, or sacrificing some apparently less important thing in the name of efficacy, the thought of opacity saves me from unequivocal courses and irreversible choices." Édouard Glissant, Poetics of Relation, Ann Arbor 1997, S. 192. Online verfügbar unter https://trueleappress.files.wordpress.com/2017/10/glissant-poetics-of-relation.pdf und https://shifter-magazine.com/wp-content/uploads/2015/10/Glissant_For_Opacity.pdf (zugegriffen 25. Februar 2020).

[15] Gleich bei der ersten Geschichte ist festzustellen, dass der Vorspanntext etwas gekürzt wurde (MoE zwischen S. 8 und 9). Zugleich lässt er nicht erkennen, dass der folgende Artikel der New Republic die Liebesgeschichte als unwahr aufdeckt. Gabriel Sherman, "The Greatest Love Story Ever Sold", in: The New Republic, 25. Dezember 2008, https://newrepublic.com/article/61006/the-greatest-love-story-ever-sold (zugegriffen 25. Februar 2020). Auch bei der zweiten Geschichte wurde redaktionell behutsam eingegriffen, vgl. MoE zwischen S. 32 und 33 mit Anthony K. Roberts, "Armless but Deadly, Jay Armes Is the Nation’s Top Private Eye", in: People, 21. April 1975, https://people.com/archive/armless-but-deadly-jay-armes-is-the-nations-top-private-eye-vol-3-no-15/ (zugegriffen 5. September 2020). Dies wird in MoE jedoch nicht kenntlich gemacht.

[16] Die hier gegebenen Beschreibungen beziehen sich auf die von Max Pinckers im Selbstverlag gedruckte Erstveröffentlichung des Buches Margins of Excess. Die im vorliegenden Band nachgedruckten Auszüge unterliegen sowohl einer anderen Anordnung als auch einem geänderten Layout. Mehr dazu im Abschnitt Available to other readings – context does matter weiter unten.

[17] "Holocaust survivors tell love story", zwischen S. 16 und 17 in MoE, wird dort der Los Angeles Daily News vom 13. Oktober 2008 zugeordnet. Derzeit findet sich der identische Artikeltext unter Matt Sedensky/Associated Press, online bei The Star (Toronto): "Holocaust survivors tell love story", 13. Oktober 2008, https://www.thestar.com/news/world/2008/10/13/holocaust_survivors_tell_love_story.html (zugegriffen 25. Februar 2020).

[18] Herkunftsangaben auf dem Bild finden sich z. B. auf S. 83, 181 – "photo: unknown", S. 187, 191, 267 von MoE. Das Kolophon zu Margins of Excess findet sich auf S. 318 ebd.

[19] S. 28–31 in MoE und abgedruckt im vorliegenden Band. Ob die Lagerhallenkirche auf S. 26 auch zur Mariengeschichte gehört, bleibt unklar.

[20] Die Perlenketten/Rosenkränze finden sich in MoE auf S. 31 und 79. – Die weinende Marienstatue mit Rosenkränzen ist auch im vorliegenden Band veröffentlicht. – Vgl. ebenso das beige Telefon auf den S. 42 und 231 ebd. Bei den Bildern auf S. 110/111 und 268, 269 ergibt sich eine Korrespondenz durch die braun-orangefarbigen Kacheln bzw. Wandfarbe. Rohrinstallationen, die in den beiden Fotografien S. 110/111 und 268 jeweils ins Leere laufen, steigern den Eindruck von Korrespondenz zwischen den Aufnahmen. Zur fehlenden Badewanne in der Wohnung Ali Alqaisi äußerte sich Pinckers im Vortrag "Margins of Excess: Text and Image in the Contemporary Documentary Photobook" beim Symposium image/con/text am 30. Oktober 2019 in Hannover, http://image-matters-discourse.de/symposium-image-con-text/videos/?lang=en (zugegriffen 25. Februar 2020).

[21] Vgl. unter anderem S. 75, 129, 155, 213, 295, 305 und das Titelfoto von MoE.

[22] Der von Lew Kuleschow identifizierte und nach ihm benannte Effekt bei der Montage von Filmbildern bewirkt, dass Gesichter mit einem neutralen Ausdruck unterschiedlich emotional wahrgenommen werden, je nachdem, ob sie mit einer Einstellung traurigen, fröhlichen oder begehrlichen Inhalts kombiniert gezeigt werden. In Margins of Excess findet insofern eine Umkehrung statt, als die Gesichtsausdrücke deutlich emotional sind, die kombinierten Bilder aber unter Umständen von zunächst neutralem Inhalt.

[23] "No matter how precautionary and punctilious the photographer is in arranging everything that is placed before the camera, the inability of the lens to discriminate will ensure a substrate or margin of excess, a subversive code present in every photographic image that makes it open and available to other readings and uses." Christopher Pinney, zitiert in: Max Pinckers, Margins of Excess, Belgien 2018, S. 319. Das Zitat findet sich ursprünglich in: Christopher Pinney, "Introduction: 'How the Other Half …'", in: Nicolas Peterson und Christopher Pinney, Photography’s Other Histories, Durham 2003, S. 1–14, hier S. 6.

[24] Siehe Sunil Shah, "Max Pinckers Interview: On Speculative Documentary", in: ASX, 28. Juli 2018, https://americansuburbx.com/2018/07/max-pinckers-interview-speculative-documentary.html (zugegriffen 25. Februar 2020).

[25] Vgl. Abb. des küssenden Brautpaares in der Bildstrecke Margins of Excess von Max Pinckers in diesem Band sowie in MoE auf S. 25.

[26] Elizabeth Day, "When one extraordinary life story is not enough", in: The Observer, 15. Februar 2009, https://www.theguardian.com/books/2009/feb/15/herman-rosenblat-oprah-winfrey-hoax, und "Holocaust survivor’s love story exposed as fraud", in: The Telegraph, https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/northamerica/usa/3998664/Holocaust-survivors-love-story-exposed-as-a-fraud.html (zugegriffen 19. Februar 2020), sowie "Verlag stoppt Holocaust-Biografie: Die Lüge vom 'Engel am Zaun'", in: Der Spiegel, 29. Dezember 2008, https://www.spiegel.de/geschichte/verlag-stoppt-holocaust-biografie-a-948099.html# (zugegriffen 26. Februar 2020).

[27] "When one extraordinary life story is not enough" / "Herman Rosenblat survived a Nazi death camp. Fifty years on, he told Oprah of the little girl who had thrown food over the fence and kept him alive. Years later they married. But, as he prepared to publish his sensational memoir, the truth emerged …" / Bildunterschrift: "Herman Rosenblat and his wife Roma as she feeds him cake at their wedding in 1958." Elizabeth Day, When one extraordinary life story, 2009.

[28] Die Autorin Elizabeth Day schreibt im Observer: "[…] it strikes me that, with all the fabrications and lies that he built up around him, maybe the saddest realisation is that Herman Rosenblat did not believe his own survival was story enough." Sie berichtet vergleichend von einem anderen Überlebenden, der im Gegensatz zu Rosenblat gar nichts von seiner Erfahrung erzählt, und unterstellt hier, dass das daran liegen könnte, dass seine Geschichte, die ihr gegenüber mit einem Foto belegt wird, "für sich selbst sprechen" würde. Mehrere andere Erklärungen wären hier jedoch durchaus denkbar. Ebd.

[29] O. A., "EXCLUSIVE Herman Rosenblat in Auschwitz Tells Apple Love Story", HermanRosenblat, YouTube, 25. Juli 2009, https://www.youtube.com/watch?v=QGTbx4PSfGE (zugegriffen 25. Februar 2020).

[30] Im vorliegenden Band sowie in MoE auf S. 19.

[31] Vgl. Uwe Schwarz, "Hasag Schlieben – Das vergessene Lager", in: Zukunft braucht Erinnerung, 27. Mai 2007, https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/hasag-schlieben-das-vergessene-lager/ (zugegriffen 25. Februar 2020). Auf dem Forum Schlieben-Berga – ein vergessenes KZ im April 2009 wurde von Prof. Kenneth Waltzer auch die Kontroverse um die künstliche Legende von Schlieben thematisiert, in der deutschen regionalen Zeitung jedoch nicht ausgeführt; zudem war ein Verwandter Herman Rosenblats anwesend: siehe Gabi Zahn, "Forum KZ Schlieben-Berga: Vergessen ist Vergangenheit", in: Lausitzer Rundschau, 20. April 2009, https://www.lr-online.de/lausitz/herzberg/forum-kz-schlieben-berga_-vergessen-ist-vergangenheit-36810438.html (zugegriffen 25. Februar 2020). Website des Vereins Gedenkstätte KZ-Außenlager Schlieben-Berga e. V.: http://www.schlieben-berga.de/ (zugegriffen 5. September 2020).

[32] Siehe Textabdruck im vorliegenden Band. In MoE S. 10.

[33] Vgl. Tobias Ebbrecht, "Whose Emotion? Encountering Holocaust Survivors' Testimonies", o. J., S. 2, https://www.academia.edu/6506989/ Whose_emotion_Encountering_Holocaust_Survivors_Testimonies (zugegriffen 25. Februar 2020).

[34] "Who tells what is [...] always tells a story, and in this story the particular facts lose their contingency and acquire some humanly comprehensible meaning." Hannah Arendt, "Truth and Politics", in: The New Yorker, 25. Februar 1967, S. 84, https://www.newyorker.com/magazine/1967/02/25/truth-and-politics (zugegriffen 14. Februar 2020).

[35] Siehe Ebbrecht, Whose Emotion?, S. 3. Ebbrecht bezieht sich auch auf Judith Keilbach, die über die Jahre einen Wandel der Erwartungshaltung an Shoah-Zeugnisse für das deutsche Fernsehen konstatiert. Während der 1960er-Jahre mussten sich überlebende Zeug*innen dem nüchternen Modus der juristischen Diskurse anpassen, wohingegen seit den 1990er-Jahren zunehmend emotionaler Ausdruck als Zeichen von Authentizität eines Films wahrgenommen wurde. Er verweist ebd., S. 3, auf Judith Keilbach, Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im Bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008.

[36] Siehe Herman Rosenblat in MoE zwischen S. 16 und 17 sowie im vorliegenden Band. Vgl. auch Joseph Berger und Motoko Rich, "False Memoir of Holocaust Is Canceled", in: The New York Times, 29. Dezember 2008, https://www.nytimes.com/2008/12/29/books/29hoax.html?hp=&pagewanted=all (zugegriffen 15. November 2019). Die Sehnsucht nach closure wäre angesichts der traumatischen Erfahrungen verständlich. Die falsche Aussage Herman Rosenblats soll darüber nicht gerechtfertigt werden, es wäre nur ein möglicher Erklärungsansatz, der eine partielle Rolle gespielt haben mag. Deborah Lipstadt, Autorin von Denying the Holocaust: The Growing Assault on Truth and Memory (1993), wies in ihrem Blog schon frühzeitig auf die Implausibilität der Liebesgeschichte Rosenblats hin und betonte die Gefahr, die von solchen harmlos wirkenden Erzählungen ausgeht: "Not only do we need to be historically accurate for the simple sake of history. But on top of that, this kind of stuff is fodder for deniers." Deborah Lipstadt, "Apples over the Fence: A Holocaust story that beggars the imagination", in: Deborah Lipstadt’s Blog, 2. Dezember 2007, http://lipstadt.blogspot.com/2007/12/apples-over-fence-holocaust-story-that.html (zugegriffen 5. September 2020).

[37] Ebbrecht, Whose Emotion?, S. 6 f.

[38] Ein Auszug aus dem Werk Eva Leitolfs, Deutsche Bilder – eine Spurensuche, 2006–2008, findet sich im vorliegenden Band. Siehe hier auch ihr Interview "Bilder wie leere Bühnen" mit Florian Sturm.

[39] MoE auf S. 82–85. Es handelt sich auf S. 82/83 um einen Screenshot eines Video-Stills des DCPI (Deputy Commissioner for Public Information) der Polizei von New York. Das Diorama auf S. 84/85 zum Thema dead 'terrorist' befindet sich im Airborne & Special Operations Museum in Fayetteville (Angabe von Victoria Gonzalez-Figueras via Max Pinckers in einer E-Mail an die Autorin am 27. Februar 2020).

[40] Vgl. z. B. Chris Brito und Paige Leskin, "Heroic NYPD duo raced to get suspected bomb out of Times Square", in: PIX11 (New York), 21. Juli 2016, https://pix11.com/2016/07/21/heroic-nypd-duo-rushed-to-transport-clicking-device-out-of-times-square-sources/ (zugegriffen 25. Februar 2020).

[41] J. Peter Donald, "All clear by the bomb squad after a suspicious object was thrown at a police car. @NYPDMTN", in: Twitter, 21. Juli 2016, https://twitter.com/JPeterDonald/status/755986503919099904 (zugegriffen 25. Februar 2020).

[42] Emily Shapiro, "Police Who Fled From Times Square With Suspicious Device Hailed as Heroes", in: abc News, 21. Juli 2016, https://abcnews.go.com/US/nypd-cops-hailed-heroes-bomb-scare-nyc/story?id=40764475 (zugegriffen 25. Februar 2020).

[43] Vgl. hierzu die Arbeit Orange Screen, 2016, von Edmund Clark und Max Houghton, mit Abb. besprochen im Beitrag "Bending the Screen. Edmund Clark in Conversation with Sophia Greiff" im vorliegenden Band.

[44] Gedichtzeile, Herkunft unbekannt.

[45] Vgl. den Aufsatz von Karen Fromm in diesem Band zum Zusammenspiel von Bild und Text in dieser Frage.

[46] Max Pinckers im Gespräch mit der Autorin.

[47] "Spielräume des Überschusses" ist eine mögliche Übersetzung von margins of excess.

[48] Vgl. Pinney, zitiert in: Pinckers, Margins of Excess, 2018, S. 319.

[49] Peirce nennt dieses erste Schlussverfahren angesichts neuer Fälle Abduktion, es funktioniert im Verbund mit Deduktion und Induktion. Siehe Charles Sanders Peirce, Collected Papers (CP 5.171), 1903: "Abduction is the process of forming an explanatory hypothesis. It is the only logical operation which introduces any new idea […]." Und (CP 5.181): "The abductive suggestion comes to us like a flash. It is an act of insight, although of extremely fallible insight. It is true that the different elements of the hypothesis were in our minds before; but it is the idea of putting together what we had never before dreamed of putting together which flashes the new suggestion before our contemplation." Charles Sanders Peirce, Eintrag "Abduction", in: Mads Bergman und Sami Paavola (Hrsg.), The Commens Dictionary: Peirce's Terms in His Own Words. New Edition, http://www.commens.org/dictionary/term/abduction (zugegriffen 29. Februar 2020).

[50] Zum Fall des "beispiellosen Falles" schreibt Stefanie Rosenmüller, in: Stefanie Rosenmüller, Der Ort des Rechts. Gemeinsinn und richterliches Urteilen nach Hannah Arendt, Baden-Baden 2013.

[51] Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, B 192f: "[…] unter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann. – Man sieht leicht, daß sie das Gegenstück (Pendant) von einer Vernunftidee sei, welche umgekehrt ein Begriff ist, dem keine Anschauung (Vorstellung der Einbildungskraft) adäquat sein kann." Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Werkausgabe Band X, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1996 [1790/1793].

[52] Zum Nexus von Einbildungskraft und politischem Urteilen siehe Linda M. G. Zerilli, "'Wir fühlen unsere Freiheit'. Einbildungskraft und Urteil im Denken Hannah Arendts", in: transversal texts/blog, Juni 2004, https://transversal.at/transversal/0605/zerilli/de (zugegriffen 25. Februar 2020).

[53] Vgl. Chimamanda Ngozi Adichie, "Die Gefahr einer einzigen Geschichte", in: Deutschlandfunk, 25. Dezember 2019, https://www.deutschlandfunk.de/identitaeten-1-7-chimamanda-ngozi-adichie-die-gefahr-einer.1184.de.html?dram:article_id=464260 (zugegriffen 25. Februar 2020). Der Vortrag findet sich auf Englisch online: https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story (zugegriffen 18. September 2020).

[54] "There’s a basic injustice in the worldwide spread of the transparency and the projection of Western thought. Why must we evaluate people on the scale of the transparency of ideas proposed by the West? I understand this, I understand that and the other – rationality. […] as far as I’m concerned, a person has the right to be opaque. That doesn’t stop me from liking that person, it doesn’t stop me from working with him, hanging out with him, etc. A racist is someone who refuses what he doesn’t understand. I can accept what I don’t understand." Édouard Glissant in: Manthia Diawara, "A Conversation with Edouard Glissant aboard the Queen Mary II“, aus: Tanya Barson und Peter Gorschlüter (Hrsg.), Afro Modern: Journeys Through the Black Atlantic, Liverpool 2010, S. 58–63, online verfügbar unter: https://www.liverpool.ac.uk/media/livacuk/csis-2/blackatlantic/research/Diawara_text_defined.pdf (zugegriffen 24. Februar 2020), dort S. 6.